9.3. "Schlussbilanz eines "Putin-Verstehers"
TELEPOLIS hat heute einen sehr lesenswerten Artikel eines ehemaligen Richters veröffentlicht: Schlussbilanz eines "Putin-Verstehers". Den Gedanken des Autors kann ich nur zustimmen.
Hier einige für mich besonders zutreffende Auszüge daraus:
"Ich als Putin-Versteher
Heute, 30 Jahre später, überlege ich, wie Putins Krieg gegen die Ukraine meine Haltung zu Russland verändert hat und ob ich ein verblendeter "Putin-Versteher" war.
Die Antwort auf letztere Frage hängt zunächst davon ab, welche Bedeutung man dem Begriff "verstehen" beimisst. Nach meinem Sprachverständnis ist ein Versteher jemand, der sich bemüht, etwas zu begreifen. Das ist etwas fundamental anderes als billigen und rechtfertigen.
Vielleicht hängt es mit meinem früheren Beruf zusammen, dass ich mich erst einmal bemühe zu begreifen, warum der russische Präsident Wladimir Putin so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Denn wenn ich es nicht begreife, kann ich kein Urteil fällen, zumindest kein gerechtes. Mit einem vorschnellen Urteil ist niemand gedient, weder dem Täter noch seinen Opfern und schon gleich gar nicht der Gerechtigkeit.
Im Lichte meines Wortverständnisses muss ich einräumen, dass ich ein Putin-Versteher bin."
"Scherbenhaufen
Auch von deutscher Seite ist nichts Gutes zu erwarten. An der Spitze steht ein phantasie- und empathieloser Kanzler. Wesentlich getragen wird er von einer kleinen Partei, die wie schon 2001 Teil der Bundesregierung ist. Diese Partei hat ihren Gründungsmythos (Gewaltfreiheit, Friedensbewegung) verraten. Der Unterschied zur Gründungszeit könnte größer kaum sein.
Die Führungsfiguren von heute sind glühende Anhänger der Nato und erschöpfen sich in der Dämonisierung Putins und Forderungen nach noch schärferen Sanktionen. Die kläglich gescheiterte grüne Kanzlerkandidatin ist jetzt deutsche Außenministerin und bemüht sich erkennbar, ihre männlichen Nato-Kollegen in Sachen Bellizismus zu übertreffen. Diplomatie Fehlanzeige. Jüngst sagte sie mit Blick auf das neueste Sanktionspaket triumphierend: "Das wird Russland ruinieren." Solche Worte sprechen für sich. Wir sind in einer heillosen Zeit."
"Hysterie
Für militärische Aufrüstung werden über Nacht 100 Milliarden locker gemacht (für Umwelt- und Klimaschutz unvorstellbar). Das findet den ungeteilten Beifall der Mainstream-Medien. SPD-Politiker geraten unter massivem Rechtfertigungsdruck, weil sie sich jahrzehntelang für Friedenspolitik eingesetzt haben (Mützenich, Platzeck, Schwesig, Stegner).
Einem früheren SPD-Kanzler und Unterstützer der Gas-Pipeline Nord Stream 2 droht deswegen der Parteiausschluss; bis vor ein paar Tagen hat seine Partei das Vorhaben noch einhellig unterstützt. Die Liste der Absurditäten ließe sich beliebig fortsetzen. Es gibt keinen Widerspruch mehr. Ukraine über alles. Die Hysterie in Deutschland ist heute grenzenlos."
"Sanktionen
Hochproblematisch ist der auf massiven amerikanischen Druck beschlossene deutsche Stopp von Nord Stream 2. Zwar kann damit der Druck auf die russische Staatsführung gesteigert werden. Aber dann ist nicht zu verstehen, dass Amerika weiter Öl aus Russland bezieht. Hier gilt, entweder beide oder keiner."
"Waffenlieferung
Noch heikler ist die Frage, ob Nothilfe auch dann noch sinnvoll und ratsam ist, wenn absehbar ist, dass Waffenlieferungen dem Krieg keine entscheidende Wendung zugunsten des Angegriffenen geben können, sondern nur die Zahl der Opfer erhöht wird.
Die Bundesregierung hat sich damit erkennbar schwergetan. Sie wurde über Nacht vom Saulus zu Paulus. Ich glaube, das Recht gibt hierauf keine befriedigende Antwort, wenn doch, ich kenne sie nicht…"
"Meine größte Sorge
Jenseits aller routinierten Bekenntnisse zu den regenerativen Energieformen mahnen Zukunftsdenker vom Schlage eines Friedrich Merz und eines Markus Söder an, wieder über die Nutzung der Atomenergie zu "reden". Vermehrte Kohlenutzung ist ohnehin bereits ein Selbstläufer. Klimaschutz ist wieder zum Thema für bessere Zeiten geworden. Die Folgen dieses geistigen Rückfalls in das letzte Jahrhundert dürften irreparabel sein.
Zukunftspolitik ist vor dem Krieg in die Knie gegangen.
Und das ist wirklich schlimm … (Peter Vonnahme)"